K 9 – Was sich im Vorfeld tut
10 Juli 2016
Es ist eine alte Erkenntnis der Sprechkunde, dass bei der Satzentstehung das gefühls- und willensmäßig Hochgetriebene nach vorne drängt. Es springt am stärksten und vordringlichsten im Bewußtsein auf, überrennt alle logischen und zweckhaften Erwägungen, setzt sich an die Spitze.
Erich Drach, Grundgedanken der deutschen Satzlehre, 1940.
S - V - O und S - O - V Sprachen
Die Sprachen der Welt werden von der Wissenschaft eingeteilt in solche, bei denen ganz vorne im Satz das Subjekt steht, es folgt das Verb, dann das Objekt: S – V – O. Englisch etwa ist so eine Sprache.
Andere stellen das Verb hinter das Objekt: S – O – V. Türkisch funktioniert so oder Japanisch.
Erich Drachs Entdeckung
Bei den meisten Sprachen weiß man also immer ziemlich genau, wohin die Satzglieder sollen. Nur im Deutschen fliegen sie zu oft hin und her, um ihre Reihenfolge so vorhersehbar festlegen zu können. Das brachte vor fast hundert Jahren einen Sprachgelehrten namens Erich Drach auf die Idee, dass es für das Verständnis des deutschen Satzes sinnvoll sein könnte, ihn als eine Aneinanderreihung von Feldern anzusehen, die für die Satzglieder bereit stehen wie Landebahnen für Flugzeuge.
Erich Drach. Grundgedanken der deutschen Satzlehre. Frankfurt am Main 1940. Seite 17
Felder im Satz
Das erste Feld liegt vor dem finiten Verb. Es ist stets besetzt außer bei ja/nein-Fragen und bei Imperativen:
X | Weint | Salli immer noch? |
X | Hör | doch bitte damit auf! |
Dieses Feld vor dem Verb hat Drach das VORFELD getauft.
Das Vorfeld
Es wird Zeit, dass wir diesen Namen übernehmen, auch um ein mögliches Missverständnis auszuräumen: Bis jetzt haben wir diese Stelle vor dem Verb immer prosaisch als Position I bezeichnet. Da, wie wir inzwischen wissen, die neuesten Nachrichten mit anwachsender Spannung immer weiter auf die Endposition im Satz zuwandern, könnte der Eindruck entstehen, dass der deutsche Satz einer geraden Linie von links unten nach rechts oben gleicht:
Position Ende
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Position I
Position I – keine kümmerliche Ecke
Dass also am Satzfang ein kümmerliches kleines Satzglied sein Dasein fristet, das sich von den wichtigeren Teilnehmern am Satzdrama in diese Ecke drängen lassen musste. Es ist aber keine Ecke, sondern ein Feld, eben das Vorfeld, auf dem sich Satzglieder entfalten dürfen, die so unwichtig gar nicht sind. Sehen wir gleich morgen, was alles sich auf diesem Vorfeld tummeln darf.