K 4 – Das Dativobjekt
19 Juni 2016
Der Klang
Ganz anders als der Raubtierblicke versendende Akkusativ kommt der Dativ daher, der schon durch seine lautliche Gestalt eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlt. Salli jedenfalls liebt das weiche m, mit dem maskuline und neutrale Artikelwörter und Pronomen diesen Kasus vorstellen ebenso wie das als halber Vokal zu sprechende r am Ende der Feminina: Weich und lieblich klingt ihr [i-a] das in den Ohren.
Mutter Teresa
Und gar die Bedeutung der Verben, die ein Dativobjekt wünschen: Auf den ersten Blick scheint einem da nur gratuliert zu werden, gedankt und geholfen. Die reinste Mutter Teresa. Tatsächlich leitet sich der Begriff Dativ ab vom Verb dare, das geben bedeutet. Vielen Verben, die den Dativ verlangen, haftet daher etwas Liebes an: Ich danke, diene, vertraue, vergebe dir.
Beschenkter ohne Geschenk?
Logisch auch, dass das Dativobjekt so oft zusammen mit einem Akkusativobjekt auftritt, denn wenn man schon jemandem geben will, dann sollte man auch etwas mit sich führen, das sich als Gabe eignet. Anselm zum Beispiel hat daran gedacht:
Dativobjekt AkkusativobjektEr schenkt seiner Kollegin einen Strauß Löwenmäulchen.
In gleicher Weise verfahren alle Verben, die in irgendeiner Weise etwas geben: anbieten, schenken, leihen, erklären, erzählen ...
Vorsilben und Kommunikativität
Auch hier arbeiten übrigens Vorsilben mit, wenn es darum geht, ein stur absolutes oder transitives Verb umzumodeln in ein besseres Wesen mit dem Bedürfnis nach einem Dativobjekt. Als Anselm vorhin die Rede auf Barbaras Moralvorschriften brachte, da hat er – wir haben es zufällig gesehen – einmal gezwinkert. Warum? Aus Nervosität vielleicht? Egal, schon wenige Minuten später – zwinkerte er seiner Gastgeberin zu! Auf die gleiche Weise verwandelt zu- Verben wie hören, sehen, winken, rufen, jubeln in einen kommunikativen Vorgang: Immer kommt dann ein Partner ins Spiel, der nicht einfach nur wahrgenommen, sondern mit Aufmerksamkeit beschenkt wird.
Auf Augenhöhe
Nun sagt uns die Logik, dass alles eine Kehrseite hat: Was dem einen nützt, kann dem anderen schaden und wem gegeben wurde, dem kann auch genommen werden. Bei der Vorstellung vom Dativ als einer grundsätzlich mildtätigen Figur kann es also nicht bleiben. Doch im Unterschied zum Akkusativobjekt lässt man hier dem Geschädigten seine Würde. Er bleibt zurück als beschenkte oder bestohlene Person. Auch wenn Salli ihrem reumütigen Schüler mit einer harschen Frage kommt, geschieht das quasi auf Augenhöhe, zum herabgewürdigten, als Sache behandelten Opfer wird man nicht so schnell im Dativ.
Personenbezogen, wie er ist, mischt der Dativ auch mit, wenn es um Besitz- oder Geschmacksverhältnisse geht:
Der taubenblaue Schlips gehört dem Kollegen Anselm,er steht ihm auch durchaus, denkt Salli,und dann plötzlich gefällt er ihr nicht mehr.
Oder darum, dass Personen sich räumlich aufeinander beziehen:
Salli geht in die Küche und Anselm folgt ihr.
Oder um Ähnlichkeiten:
Zu ihrem Bedauern ähnelt Salli weniger ihrem sehr schnittigen Vaterals der rechtschreibschwachen Mama.
Sallis "Projekt Pygmalion"
Wie hat Anselm Sallis Projekt betitelt? Mit Pygmalion. So heißt bei Ovid (dessen Geschichte Shaw als Grundlage für sein Theaterstück nahm) ein Künstler, der sich in die selbst geschnitzte, elfenbeinerne Skulptur verliebt. Und nun soll Sergey – eingebunden in das Projekt Pygmalion – einem Ding aus Elfenbein gleichen? Sogar noch in der toten Skulptur sehen wir den Partner! Sie hat sich ja nur an die Stelle zu schmuggeln brauchen, wo wir etwas Lebendes erwarten.
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