K 9 – Eine andere Art Spannung
15 Juli 2016
Die Ausdrucksstelle
Die Satzglieder im Vorfeld leisten Häkelarbeit, schaffen also eine Textstruktur; gleichzeitig leisten sie so die bestmögliche Vorbereitung für den spannenden Schluss am Satzende. Es gibt aber noch eine andere Spannung als die, die wir bislang beschrieben haben. Eine, die nicht aus dem schlauen Gehirn eines Dramaturgen stammt, der sich überlegt, wie er seinen Satz am effektvollsten gestaltet.
Wes Herz voll ist ...
Sondern die direkt aus unserer Brust kommt. Wes Herz voll ist, dem geht der Mund über. Der plant nicht mehr bis zum Ende, sondern schießt das Wort als erstes ins Vorfeld, das dort einfach hin muss, weil der Mensch sonst platzen würde:
Endlich hat Salli aufgehört zu weinen!
Erich Drach, der Entdecker der so genannten topologischen Felder hat in diesem Zusammenhang vom Vorfeld als der Ausdrucksstelle im Satz gesprochen. Wer seiner inneren Erregung Ausdruck verleiht (bei Otto Behaghel hieß die Stelle tatsächlich noch „Erregungsstelle“), der verzichtet auf die Dramaturgie, der hört auf zu strukturieren. Was zur Folge hat, dass die größte dramatische Wucht jetzt vorne im Satz liegt.
Hörbare Erregung
Auch an der Stimmführung ist das hörbar. Wir betonen immer das, was uns am wichtigsten erscheint. Endlich hat Salli aufgehört zu weinen! – klingt anders als Salli hat endlich aufgehört zu weinen.
Auch das Fragewort in Fragesätzen kann diesen Ausdruck annehmen und wird dann entsprechend betont. Hören wir nur hin, wie Salli gerade noch einmal schreit:
"Wieso musst du überhaupt dahin, du Esel?"
Konsequenzen für die Endposition
Wenn so viel Ausdruck ins Vorfeld verlegt wird, heißt das natürlich etwas für die Information am Ende des Satzes. Die verliert an Dramatik. Großes Drama am Ende des Satzes bedeutet umgekehrt, dass auf dem Vorfeld gehäkelt wird, nicht geseufzt oder geschrien. Beides zusammen – heftiger Ausdruck vorne und großes Drama hinten – das wäre zu viel verlangt. So dass wir uns die Sätze mit Drach also als jeweilige Verwirklichung von zwei möglichen Typen vorstellen können:
Erich Drach. Grundgedanken der deutschen Satzlehre.Frankfurt am Main 1940. Seite 18.
Vorfeld Verb Mittelfeld
a) Ausdruckstelle | Erläuterungen, Ergänzungen | |
b) Anschlussstelle | | Eindrucksstelle |
Auf die Pauke hauen
Sehr oft passiert es nicht, dass Sätze mit Paukenschlägen beginnen. Wenn es aber sein muss, dann können auch die unscheinbarsten Wortteilchen nach vorne aufs Vorfeld fliegen. Sogar der stoische Sergey hat heute in der Hitze des Rennstarts gemurmelt:
Und ab geht (die Post – da er die Wendung nicht gut genug kennt, hat er das Letzte weggelassen)!
Und auch wir werden uns jetzt nicht weiter zurückhalten und endlich einmal richtig auf die Pauke hauen:
Zum Teufel mit deiner russischen Geheimniskrämerei, Sergey! Siehst du nicht, was du Salli antust?Den Hintern verhauen sollte man dir!
Und Salli? Zu weinen aufgehört hat sie ja. Hat sie auch etwas gelernt aus diesem Desaster? Dass sie sich auf eine Mesalliance eingelassen hat, die ihr nicht gut tut?
Wenigstens weiß niemand davon! Gott sei Dank hat sie niemandem davon erzählt!