K 11 – Ausklammern und Atmosphäre

22 Juli 2016
Ironie durch Ausklammern
 
Eine solche Wucht wie das nach hinten gestellt Subjekt haben andere Satzglieder nicht. Und auch dem Klammer schließenden Verb, das sich normalerweise als Diva des Satzes fühlen darf, machen sie seinen Rang nicht wirklich streitig. Aber indem sie das letzte Wort sind, haben sie natürlich auch das letzte Wort und etablieren sich so zumindest als geschäftig herum schwatzende Konkurrenz für die Diva. Das kann für Ironie im Satz sorgen:
 
Während Frauen ihren Gefühlsschwankungen unterworfen sind, bleiben Männer nämlich in allen Lebenslagen stark. Männer müssen den Überblick behalten in Russland.
 
Die lokale Angabe in Russland hätten wir natürlich auch im Mittelfeld unterbringen können, wo sie zu der Aussage gepasst hätte, dass eine so vortreffliche männliche Eigenschaft typisch für die russischen Männer ist. Oder im Vorfeld, dann hätten wir eine Art landeskundliche Information:
 
In Russland müssen Männer den Überblick behalten.
 
Indem wir sie ausklammern, erklären wir erst Männer als solche zu kraftvollen Überwesen, und müssen das am Schluss leider wieder einschränken auf die Landesgrenzen von Sergeys Heimat. 
 
Boshaft
 
Je gewichtiger die Aussage ist, die am Ende des Mittelfelds gemacht wird, desto mehr trifft sie der Nadelstich der Ironie, wenn ein ausgeklammertes Satzglied noch etwas dazu zu sagen hat. Wie war das mit Sallis Freundin, der gestrengen Feministin Barbara Müller?
 
Frau Dr. Müller ist dem Tango ganz verfallen seit drei Monaten.
 grammatik-tango
Tangofüße (die in Lila von Heike Kron) © Christoph Brandt
 
Die ausgeklammerte temporale Angabe betont die Kurzfristigkeit der neuen Leidenschaft und klingt so ein wenig boshafter, als wenn wir nur sagten, dass sie seit drei Monaten auf Tango ganz versessen ist
 
Was passiert nun mit dem Klammer schließenden Verb, wenn ihm ein ausgeklammertes Satzglied folgt? Wird ihm dann seine Wichtigkeit bestritten? Im Gegenteil, solange dieses Satzglied nicht das Subjekt ist, kann das Verb am Ende von der Ausklammerung sogar profitieren.
 
Wie das Verb vom Ausklammern profitiert
 
Sehen wir uns dazu diese drei Möglichkeiten an, einen Satz zu bauen, der sich mit Sergeys kommender Nachtruhe befasst:
 
Sergey wird heute Nacht schlecht schlafen.
  
Herkömmlicher Satzbau. Eine Prognose wird ausgesprochen.
 
Heute Nacht wird Sergey schlecht schlafen.
 
Die temporale Angabe im Vorfeld. Auch dies noch im Rahmen des Üblichen. Ohne Kontext klingt der Satz etwas beschwingter, da es Sergey nicht so zusammenhangslos auftreten lässt, sondern vorne eine Zeitlichkeit festlegt.
 
      Sergey wird schlecht schlafen heute Nacht.
 
Ausklammerung der temporalen Angabe. Das hat Folgen für die Betonung. Am Ende eines Satzes senken wir nämlich normalerweise unsere Stimme. Und tun damit kund, dass die Dinge sich geklärt haben, dass wieder Ruhe einkehren kann. (Wenn das nicht der Fall ist, wie zum Beispiel bei Fragesätzen, bleibt die Stimme entsprechend oben.) Durch die ausgeklammerte Angabe wird die Stimme beim Verb in einer höheren Lage gehalten. Das machen wir nicht automatisch, sondern weil wir dem Verb und seinem Zusatz eine größere Bedeutung zuschreiben wollen. Hier – 
 
Sergey wird schlecht schlafen heute Nacht.
 
– klingt das schlecht schlafen deutlicher hervor aus dem Satz. Und damit – je nachdem wie wir zu Sergey stehen – drohender oder schadenfroher als bei den beiden anderen Varianten. Die ausgeklammerte Angabe bringt Stimmung in den Satz.

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