K 6 – Das Kürzere vor dem Längeren
26 Juni 2016
Faustrecht
Satzglieder, die eine gewisse Fülle aufweisen, besitzen offenbar eine Art Abonnement auf eine Position Richtung Satzende, die stattlichen Nomen lassen da die dünnen Pronomen einfach nicht vorbei. Es herrscht so etwas wie Faustrecht.
Das war nicht immer so.
Zu früheren Zeiten, als es in der deutschen Syntax noch nicht so streng zuging, galt die Aufstellung der Pronomen nach dem Prinzip kurz vor lang nur als stilistisch schöner. Inzwischen jedoch hat sich diese Reihenfolge als grammatikalisch verbindliches Gesetz etabliert, jeder Deutschlehrer würde sofort den Rotstift zücken, sollten wir dagegen verstoßen
Ein kleiner Skrupel in Sachen Dramaturgie
Aber könnte es vielleicht sein, dass hier im Hintergrund auch wieder nur das dramaturgische Gesetz waltet, wonach zuerst das Bekannte, dann das Unbekannte zu stehen hat? Immerhin verweisen Pronomen auf etwas, das zuvor schon gesagt wurde, sie müssen also von Haus aus das eher Bekannte sein. Das stimmt zwar, dennoch gibt es einfach zu viele anders gelagerte Fälle, wo über die Konkurrenz von Nomen und Pronomen hinaus der Rhythmus des kurz vor lang über die Satzstellung entschieden hat. Dieser Rhythmus wirkt nämlich nicht nur da, wo ein Pronomen auf ein Nomen trifft. Sondern auch, wenn beide Objekte durch ein Pronomen vertreten werden:
Salli drängt Sergey ein Schnitzel auf. Sie drängt es ihm auf.Sergey rettet den Damen das Pferd. Er rettet es ihnen.Barbara offeriert Salli die Wahrheit. Sie offeriert sie ihr.
Bei zwei durch Pronomen vertretene Objekte steht der Akkusativ vor dem Dativ. Warum?
Warum hier Akkusativ vor Dativ?
Weil er leichtfüßiger in den Satz tritt. Leichtfüßiger dem Klang nach. Denn die Regel kurz vor lang gilt für die Ohren, nicht für die Augen. So dass wir uns bei Sätzen wie –
Sergey hat Salli Unterricht versprochen. Er verspricht ihn ihr.Barbara offeriert Salli die Wahrheit. Sie offeriert sie ihr.
– nicht irritieren lassen dürfen durch die Anzahl der Buchstaben bei den Pronomen – die ist jeweils gleich –, sondern unseren Ohren trauen müssen. Halten wir uns die Augen zu, hören wir nur hin. Was klingt länger? sie oder ihr?
Eine Regel nur für die Ohren
Beim Dativ ihr [iia] hören wir den Zusammenklang zweier Vokale. Das liegt daran, dass ein R am Ende eines Wortstamms ausgesprochen wird wie ein leichtes, schwebendes A. Im dativischen ihr hören wir also zwei Vokale hintereinander. Im Akkusativ dagegen klingt nur ein Vokal.
Und wieder gilt: Wenn die Sprache sich in eine bestimmte Form gefunden hat – hier die der Pronomenabfolge
es – ihmsie – ihnenihn – dir
dann wirkt die Macht der Analogiebildung und beansprucht Gültigkeit auch bei Abfolgen wie
es – ihmihn – ihmsie – euch.