Chinesisch, Englisch und Deutsch

30 Mai 2016
Die Freiheit im deutschen Satzbau

Nehmen wir dazu einmal diesen Sachverhalt und beschreiben ihn in einem kurzen Satz:

    © Karin Walter

Die Frau gibt dem Pferd Zucker.

Okay? Oder gibt es noch andere Möglichkeiten?

Aber ja. Den gleichen Sachverhalt könnten wir auch so beschreiben:

Dem Pferd gibt die Frau Zucker. Oder:
Zucker gibt die Frau dem Pferd. Oder sogar so:
Zucker gibt dem Pferd die Frau.

Gelungen sind diese Sätze vielleicht nicht alle gleichermaßen, aber möglich schon. Das ist keine Selbstverständlichkeit, andere Sprachen sind da nicht so liberal. Im Englischen oder im Chinesischen etwa ist nur eine unserer Varianten möglich, nämlich:

The lady gives the horse sugar.
yiwei nüshi gei ma shatang.

Wieso sind die englischen und chinesischen Sprecher in der Frage des Satzbaus so rigide festgelegt? Und wieso ist ausgerechnet die deutsche Grammatik da so liberal?

Zurück zur Morphologie

Dazu müssen wir jetzt doch einen kurzen Blick auf die Morphologie werfen (oder zurückgehen zu der, die, das und Konsorten). In einem deutschen Satz stehen bestimmte Wörter nicht einfach so herum, sondern haben im Normalfall etwas an sich, das sie unverwechselbar macht in ihrer grammatikalischen Rolle. Man könnte sich dieses Etwas vorstellen wie den Bart, den ein Schlosser einem Schlüssel verpasst:


                   Die Frau               gibt                 dem Pferd                                     Zucker.

Im Chinesischen sieht das vollkommen anders aus. Es gibt kein der, die, das, die Wörter selbst haben nichts Bartartiges, eher gleichen sie glatt polierten Bällen. In jedem davon schimmert (wie eine Farbe) natürlich eine besondere Bedeutung – sagen wir Frau, Pferd, Zucker – aber auf grammatikalischer Ebene unterscheiden sie sich nicht. Unser Satz sähe im Chinesischen etwa so aus:


                         yiwei nüshi       gei                ma                          shatang.
                        Frau                  gibt               Pferd                       Zucker

Was würde passieren, wenn man die Kugel in eine veränderte Reihenfolge schöbe? Wir ahnen es:


                       ma               gei                   yiwei nüshi                        shatang 
                      Pferd            gibt                  Frau                                   Zucker.

Haargenau das gleiche Problem im Englischen. Das ist zwar eine komplett andere Sprache als Chinesisch, unter anderem verfügt es über einen Artikel, aber dieses ewig unwandelbare the hat nun rein gar nichts an sich, mit dem sich unterscheiden ließe, wer wem etwas gibt. Also muss die Reihenfolge für die Richtigkeit sorgen:

The lady gives the horse sugar.

Wenn wir das umstellten, käme wie bei den Chinesen ein neuer Sachverhalt raus:

The horse gives the lady sugar.

Offenbar verpflichtet das auf den ersten Blick so befreiend wirkende Fehlen kleinkarierter Morphologie zu einer strikten Abfolge beim Satzbau.

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