K 11 – Wann klammern wir aus?
20 Juli 2016
Nebensätze auf dem Nachfeld
Auf dem Nachfeld treiben sich in erster Linie Nebensätze herum. Diese sind für sich selbst meist schon so lang, dass das Mittelfeld im Hauptsatz erleichtert aufatmet, wenn sie sich hinter das zweite Verb verschieben lassen. Dass hier auf dem Nachfeld, Relativsätze oder andere Nebensätze stehen, besonders solche mit dass oder damit oder Infinitivkonstruktionen – das fühlt sich so normal an, dass es kaum noch auffällt. Im Gegenteil, es käme uns unnatürlich und geschraubt vor, wenn wir sie in die Satzklammer hineinpackten.
Von diesen beiden Sätzen etwa –
Sie haben vergessen die Bremslichter zu prüfen.Sie haben die Bremslichter zu prüfen vergessen.
– klingt die zweite Fassung antiquiert.
Früher ging so etwas noch
In früheren Zeiten hat man tatsächlich so geschrieben. Bei Heinrich von Kleist finden sich Nebensätze im Mittelfeld, deren Länge uns schier den Atem raubt. Aus Kleists Michael Kohlhaas:
Deine Frau hat dir, wie ich höre, schon erzählt, dass der Kurfürst von Brandenburg und ich am dritten Tage der Zusammenkunft, die wir in Jütenburg hielten, auf eine Zigeunerin trafen; und da der Kurfürst, aufgeweckt wie er von Natur ist, beschloss, den Ruf dieser abenteuerlichen Frau, von deren Kunst eben bei der Tafel, auf ungebührliche Weise die Rede gewesen war, durch einen Scherz im Angesicht alles Volks zunichtezumachen: so trat er mit verschränkten Armen vor ihren Tisch, und forderte, der Weissagung wegen, die sie ihm machen sollte, ein Zeichen von ihr, das sich noch heute erproben ließe, vorschützend, dass er sonst nicht, und wäre sie auch die römische Sibylle selbst, an ihre Worte glauben könne.
Heinrich von Kleist. Michael Kohlhaas. Stuttgart 2016. p. 95.
Irgendwie hat man es im 18. und 19. Jahrhundert geschafft, so etwas zu verstehen und sich dabei noch unterhalten zu fühlen. Uns dagegen ist offenbar die Geduld abhanden gekommen, in solchen Sätzen immer nach dem Klammer schließenden Verb zu suchen, um uns darüber rückwirkend den Sinn im Mittelfeld zu erschließen. Wir haben es uns angewöhnt, in einem Satz den Gedanken nacheinander folgen, nicht in Kreisbewegungen. Und so verschieben wir Nebensätze oft aufs Nachfeld.
Ausklammern
Nicht selten finden wir auf dem Nachfeld aber auch noch andere Satzglieder, die keine Nebensätze sind. Die Grammatik spricht dann von Ausklammerung. Im Unterschied zu den Nebensätzen, die uns im Nachfeld so normal vorkommen, dass wir gar nicht erst überlegen, ob nicht eine andere Stellung schöner klänge, gibt es für ausgeklammerte Satzglieder immer eine echte Alternative. Sie könnten auch im Mittelfeld stehen, ohne dass sich unser Sprachgefühl dagegen wehren würde.
Dramaturgisches Ausklammern
Wenn wir ausklammern, haben wir also noch andere Gründe als nur den, ein schwer keuchendes Mittelfeld zu entlasten. Wörter auszuklammern kann einen dramaturgischen Sinn haben. Oder so etwas wie einen stilistischen Hintersinn. Besonderheiten in der Wortstellung haben einen Grund. Was soll erreicht werden durch die Ausklammerung? Wie klingen solche Sätze, in denen einzelne Satzglieder erst nach dem finiten Verb auftauchen?
Gesprochene Sprache
Das erste, was auffällt, ist die Nähe zur mündlichen Rede. Wer spricht, verfertig sich seine Gedanken noch während des Sprechens, das heißt, es klingt nicht immer „wie gedruckt“: Er baut Pausen ein; wiederholt vielleicht ein Wort, das er schon einmal gesagt hat, in einer anderen Fassung; manche Informationen fallen ihm erst ein, wenn der Satz schon fertig ist. Wie war das bei Sergey vorhin?
Er muss erst noch zu Tommi. Wegen dem Hänger.Die Dinger muss er noch abmachen, die Hufeisen. Damit es nicht zu Verletzungen kommt.
Sehr elegant ist das nicht, es hört sich abgehackt an, aber so geht es zu, wenn wir sprechen. Je gesprochener die Sprache klingen soll, desto mehr Gebrauch werden wir also von der Ausklammerung machen.
Ein literarischer Rubikon
Weshalb sich übrigens Ausklammerungen auffällig gehäuft etwa bei Texten von Bertolt Brecht finden, der insgesamt viele Stilmittel aus der gesprochenen Sprache verwendet hat (wie Dialektwörter oder Hauptsatzstellung bei weil-Sätzen). Überhaupt scheint sich hier eine Art literarischer Rubikon aufzutun: Hie Goethe, Kleist und Thomas Mann, die wenig ausklammerten; da Heine, Keller, Brecht und Johnson, die es öfter tun.