K 7 – Artikel und Sprachen

30 Juni 2016
Artikel und Sprachen

Dass sich Artikel in einer Sprache finden, ist keine Selbstverständlichkeit. Artikel sind junge Wesen im Wörterdschungel. Bei weitem die meisten Sprachen besitzen keine, darunter Türkisch, Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Georgisch und sämtliche slawischen Sprachen wie Russisch, Polnisch oder Tschechisch. Latein hatte noch keine Artikel, seine modernen Tochtersprachen schon. Auch im Deutschen sind sie erst spät aufgetaucht, vor 800 bis 1000 Jahren, nachdem die alten Kasusendungen weggefallen waren. 

Den Herold für das Nomen zu spielen, anzuzeigen, ob es maskulin ist, sich im Akkusativ befindet und vielleicht im Singular, ist aber nur eine Aufgabe der Artikel. Die andere, viel wichtigere, betrifft die Dramaturgie von Texten. 

Der Definitartikel definiert nicht

Vergessen wir an der Stelle gleich, was die Bezeichnungen Definit- und Indefinitartikel nahe legen. Ein und eine wollen mitnichten sagen, dass die nachfolgenden Nomen unbestimmt, schwammig, konturlos sind; sie vertragen sich bestens mit Attributen aller Art, die die Nomen bestimmen: eine große Kolchose in Kasachstan. Weder definieren Artikel, noch lassen sie etwas unbestimmt. Sie lenken vielmehr unsere Aufmerksamkeit. Auf den ersten Auftritt eines Nomens. Oder eben darauf, dass von ihm schon die Rede war. Klar ist damit also auch, dass die Anzahl der Definitartikel in einem Text höher sein muss als die von Indefinitartikeln. Man schätzt das Verhältnis auf sieben zu eins.

Hier geht die Sprache logisch vor

Natürlich verliebte sich der Traktorist in die hübsche junge Frau mit dem Melkschemel.

Wenn sie mit Artikeln verweist, geht die Sprache logisch vor: Als Wort mag der Melkschemel zum ersten Mal im Text auftreten. Aber da wir schon von der Melkerin gehört haben, erscheint er uns als etwas, das sich aus seiner Besitzerin erklärt: Melkerinnen haben so ein Möbel. Um den Schemel müssen wir also keinen größeren Wirbel mehr veranstalten, er ist ebenso abgehakt wie das Feld, das unser Traktorist Tag für Tag befährt.

Unikate – wenn es etwas nur einmal gibt

Auch wenn es etwas nur einmal gibt auf der Welt, braucht seine Einmaligkeit nicht hervorgehoben zu werden. Definitartikel also für die Sonne, die den kasachischen Weizen bescheint oder den Roten Platz in Moskau, den unser Traktorist bei seinem einzigen Ausflug in die Hauptstadt bestaunte. 

Roter Platz, Moskau, Basilika © Brad Earlybird

Gleichfalls Einmaligkeit behauptet der Superlativ: 

Der Traktorist war nicht einfach ein netter Mensch, er war der netteste, lustigste Kerl in seiner Brigade. 

Wissenschaftssprache

Auch wer etwas erklären will, nützt den Spannungszustand, in den ein Artikel einen ganzen Satz versetzen kann. Die kühle Wissenschaft, die Wert darauf legt, sich um Kategorien zu kümmern, Gesetze allgemeiner Art zu finden, braucht deshalb gerade keinen Trommelwirbel, wenn sie definiert:

Das Zebra gehört zur Gattung der Pferdeartigen.

Während Salli in ihrem Traum ein individuelles Tier vor Augen hatte:

Ich hab heute Nacht ein Zebra geküsst!

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