K 1 – Nomen und Artikel

3 Juni 2016
Elefantenwörter

Nomen (1) sind elefantös behäbige Wesen, die den (wirklichen oder vorgestellten) Dingen in der Welt einen Namen geben: Mann, Frau, Pferd, Liebe oder Traumberuf. Sie können sich aneinanderhängen, Rüssel an Schweif, wie beim Lehrerkonferenzprotokollanten. Im Deutschen schreibt man sie groß – als wolle man so ihrem Elefantencharakter gerecht werden. Alle Nomen besitzen ein grammatikalisches Geschlecht – Genus, teilen sich also ein in maskuline, feminine und neutrale, was nur bei Lebewesen und nicht einmal da immer einem biologischen Sexus entspricht. Diese Einteilung ist nicht selbstverständlich, manche Sprachen, das Englische etwa, verzichten darauf, oder kennen wie die Kaukasussprache Tsez noch ganz andere Kategorien: Tiere oder unbewegliche Gegenstände oder Produkte aus Frauenhand. 

Genus, Kasus, Numerus

Im Deutschen lässt sich das Genus hie und da an einer Endung erkennen, weil die Römer oder Griechen, aus deren Sprache sie stammt, in dieser Frage gut vorgesorgt haben. Die Arroganz mancher Kollegen, unter der Salli leidet, trägt dem geradeso Rechnung wie der leichte Snobismus, dem sie selber frönt. Aber es gibt auch original deutsche Endungen. Wenn sich etwa ein Verkleinerungssuffix wie -chen an die liebliche Maid heftet, die Salli in ihrer ganzen altmodischen Bedeutung einmal war, dann wird daraus unter Zuhilfenahme eines Lautgesetzes das späte Mädchen, das sie heute darstellt. Weitere Erklärungen für das Genus – etwa, warum ein Berg männlich sein soll – liegen tief im Dunkel des sprachgeschichtlichen Waldes.

Vajolettürme, Rosengarten, Dolomiten © Fritz Fassbinder

Die meisten Nomen kennen einen Numerus, also die Einteilung in eins und viele. Salli etwa erlebte als Kind, wie ihr Vater, Professor für Landschaftsarchitektur, sich weniger um die singuläre Tochter als um die Wölfe kümmerte, die er in seinem Naturschutzpark im Plural auswildern wollte. Insgesamt gibt es im Deutschen neun Möglichkeiten, den Plural zu bilden, von keiner bemerkbaren Veränderung à la  der Lehrer – die Lehrer bis zur Umlautung wie beim Wolf beziehungsweise den Wölfen. Ausländische Lerner lernen am besten jedes Nomen gleich zusammen mit seinem Genus und Numerus.

Sobald sie in einem Satz gebraucht werden, nehmen Nomen die Haltung eines grammatikalischen Kasus an (auf deutsch: Fall), von denen im Deutschen vier zur Verfügung stehen. Es gibt Sprachen, tote wie lebendige, in denen die Nomen selbst anzeigen, in welchem Kasus sie sich gerade befinden und zwar mithilfe einer Endung, die ihnen am Hinterteil klebt, so sichtbar wie ein Fettsteiß. Hier macht uns ein Wolf in einem sprachgeschichtlichen Spaziergang diese Übung vor:
           
                     Latein       Gotisch        Modernes Deutsch
Nominativ:    lup-us        wulf-s            Wolf
Genitiv:         lup-i           wulf-is           Wolf-(e)s
Dativ:            lup-o          wulf-a            Wolf
Akkusativ:     lup-um       wulf               Wolf

Der Artikel tritt auf

Wie wir sehen, ist alles, was im modernen Deutsch von diesen alten Endungen übrig blieb, ein -s oder -es im Genitiv und vereinzelt das -e im Dativ, das zu festen Formeln versteinerte wie beim Manne, dem geholfen werden kann. Ansonsten würde man modernen deutschen Nomen wenig ansehen über ihren grammatikalischen Status, wenn ihnen nicht die Artikel (2) voraus gingen, um sämtliche Informationen zum Nomen laut hinaus zu posaunen. In dem Satz – 

Salli hasst den Hund des Kollegen Radetzki. 

– gibt allein der Artikel den Auskunft darüber, dass das kleine Vieh so singulär wie maskulin ist und sich momentan im Akkusativ aufhält. Die Artikel haben sich erst nach Zusammenbruch des Endungssystems am Nomen entwickelt. Sie sind die jüngste Art im Wörterzoo.

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