K 9 – Vor dem Vorfeld

14 Juli 2016
Vokative und Konjunktoren

Gibt es etwas, das sich noch vor das Vorfeld pflanzen kann? Ja, was da steht, ist allerdings immer etwas, das im Inneren eines Satzes sowieso nichts verloren hätte. Es kann sich dabei um Vokative handeln:
 
Nehmen wir diese Geschichte um Sergey und die weinende Salli ...

 Vorfeld 
Mittelfeld
Mein Gott,
    da    bricht    

einem ja das Herz
 
Oder um Konjunktoren, also jene kleinen Wörter, die zwei Hauptsätze miteinander verknüpfen. Würden wir immer noch von Position I, II, III usw. sprechen, müssten wir ihnen die Position 0 zuweisen. Denn sie stehen in einer Lücke zwischen zwei Sätzen, also außerhalb aller Felder:
 
Position 0 oder das Vorvorfeld

          Hauptsatz 1                                       Hauptsatz 2
 Vorfeld
Position 0   Vorfeld Mittelfeld
 Salli    weint,    und   Sergey    steht nur da.


Wie das in einem Text aussieht:
 
Gehen wir weiter in unserem Text um Sergey und seine Familie in Kasachstan. Achten wir wieder auf Vorfeldbesetzung und das Schlusswort im Vorsatz und lassen wir uns nicht stören durch Konjunktoren hie und da:
 
.... waren seltsam höflich zu Sergey
ObD       Ihm hätte das nichts ausgemacht.
S Aber    seine Schwestern und die Mutter begannen zu planen:
S           So viele Russen verließen jetzt das Land.
S           Sie zogen nach Russland.
LO Doch in Russland hatten die Dycks keine Verwandten.
KA         Stattdessen gab es deutsche Vorfahren.
S            Die machten das Auswandern möglich.
S            Deutschland galt als Paradies.
LO         Dort würden sogar die Straßen mit Shampoo gewaschen, hieß es.
LO         In Deutschland fände die herzkranke Schwester eine bessere Behandlung,
S    und   der Neffe müsste nicht sterben in einem Krieg gegen die Tschetschenen.
KA         Also stellten sie Anträge
TE  und  dann hieß es: warten, warten, warten.
 
(S=Subjekt; ObD=Dativojekt: TE=temporale Angabe; KA=kausale Angabe; LO=lokale Angabe)
 
Häkelmuster und Spannung
 
 
In all diesen Sätzen hier hatten die Satzglieder im Vorfeld keine andere Aufgabe, als ihre Häkelarbeit zu verrichten, Sätze zu verbinden, einen Text zu schaffen. Und so, wie sie das tun, erhalten sie auch die Satzstruktur mit ihrer bekannten inneren Dramaturgie, mit der anwachsenden Spannung, die sich erst am Ende des Satzes entlädt.

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