K 12 – au, ai, oi oder Sprache vor der Sprache

23 Juli 2016
Ein Gesichtsausdruck und der passende emotionale Laut berühren uns viel unmittelbarer als jede sprachliche Kodierung der gleichen Bedeutung.
Ruth Berger, Warum der Mensch spricht, 2008.


Die Syntax – eine ständige Herausforderung

Der Roman ist an seinem Ende angelangt, den letzten Satz hatte wie immer Sergey. Lassen wir ihn ihm durchgehen – es bleibt uns sowieso nichts anderes übrig. Und auch wir hier sind am Ende unseres Grammatikblogs angekommen. Natürlich nicht am Ende der Grammatik schlechthin, die würde viel mehr umfassen: Lautlehre, Wortbildung, Formenkunde, Etymologie ... Auch über die Syntax, unser Thema, ließe sich ewig weiter sprechen; sie bleibt, wie eine Sprachwissenschaftlerin schrieb, für das Deutsche eine ständige Herausforderung, eine Art Steeplechase der Linguistik. 

Fast immer haben wir mehrere Möglichkeiten

Aber gerade so bietet sie, wie wir jetzt wissen, die beste Bühne für all das, womit wir unsere Sätze spannend machen können: für dramatisch verzögerte Auftritte, für überraschende Wendungen, wenn das Vorfeld sich anders besetzt als gewohnt oder eine Botschaft ins Nachfeld ausgeklammert wird. Fast immer haben wir mehrere Möglichkeiten, wie wir einen Satz bauen können, und oft lohnt es sich, darüber nachzudenken, welche Reihenfolge der Satzglieder sich besser eignet für das kleine Drama der Syntax. 

Soll die Information lauten, dass Sergey ohne Sallis Wissen schon Verhandlungen über einen Hof geführt hat? 

Oder besser so, dass Sergey schon Verhandlungen über einen Hof geführt hat ohne Sallis Wissen? 

Dass Salli demnächst ab neun Uhr ihren Mann im Bayerischen Hof steht? 

Oder dass sie demnächst ihren Mann steht im Bayerischen Hof ab neun Uhr? 

Die Entscheidung darüber müssen wir selbst treffen. Wir sind der Regisseur unserer Sätze.

Wir sind der Regisseur unserer Sätze

Moment mal! Sergey hat es schon wieder versäumt, sich mit Salli zu besprechen? Ja, hat er. Nun, dass er sich ernsthaft ändern würde, hätten wir ja sowieso keinen Augenblick geglaubt. Wozu sollte er? Wo er es doch gerade wieder geschafft hat, Sallis Herz zu rühren und das mit einem einzigen kleinen oi, einer Interjektion, also einem jener Laute, die Salli so faszinieren und von denen Anselm meint, sie wären nicht viel mehr als der Krach, den Tiere auch veranstalten. 


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