Georgien 2017 – Ausflug ins Medea-Land
24 Mai 2017

Drinnen hat uns der Schaffner im Auge, besorgt wacht er darüber, dass die Ausländer am richtigen Bahnhof aussteigen. Martin bestätigt meinen Eindruck: Die Leute hier sind gutartig, beklaut worden ist er nie, alle sind stets hilfsbereit und freundlich, immer bereit für ein Schwätzchen. Nette kleine, auch viele verlassene Bahnhöfe ziehen vorüber, Ruinen von rostigen Waggons, von Unkraut überwuchert.


In Rioni (ich hätte so gerne die Bestätigung, dass in diesem georgischen Namen ein romanischer rio steckt) holt uns Martins Kollegin Dana mit ihrem Auto ab und zwar an der berühmten Dana-Schluchtmann-Schwelle: Nachdem das Volk von Rioni jahrelang einfach so über die Gleise gelatscht war, hat Dana bei einem georgischen Freund um einen sicheren Übergang gebeten. Irgendwie klappt bei Dana immer alles: Kaum war die Bitte ausgesprochen – zack, schon wurden die hölzernen Schwellen verlegt.

Das Essen in einem Gartenlokal begleiten Bettelbuben und streunende Hunde. Erstere werden vom Kellner verjagt, letztere (alle im Ohr gechipt) dürfen bleiben, schlafen unter den Tischen und verjagen ihrerseits einmal einen erwachsenen Bettler. Sehr schön ist die ins Englische übersetzte Speisekarte (übersetzt aus dem Russischen und Georgischen, beides Sprachen, die keinen Artikel kennen): The soup of the fish, The soup of the mushroom, The cream-soup of the potatoe. Eine Art Artikel-Übersoll-Erfüllung.

Vorbei am prächtigen Widderbrunnen der Stadt (die goldenen Pferde und Widder sollen Medeas Schmuck vergrößert wiedergeben) geht es zur Akaki Tsereteli Universität, wo Claudia und ich eine Lesung abhalten. Ca 30 Leute sitzen in der Bibliothek – Hochschullehrer und Studenten –, die alle gut verstehen und (nachdem Dana ein nachdrückliches Handy-Klingel-Verbot ausgesprochen hat) brav ihre Mobiltelefone ausschalten. Es wird viel gelacht, besonders als ich in einer wilden Szene laut "Nein" schreie, dabei mit der Hand auf die erste Bank vor mir schlage und auf diese Weise eine Unidozentin fast zu Tode erschrecke.
Hinterher gibt es noch Fragen, Tinatin etwa möchte wissen, ob ich beim Familiennamen meines russischen Helden – Dyck – an Tolstoi gedacht hätte, dessen Name würde ja ins Deutsche übersetzt "dick" heißen. Andere fragen, wo man unsere Bücher kaufen kann, aber Amazon liefert nicht in diese Gegenden, nicht einmal die Buchhändler können bestellen.
Claudia und ich lassen je ein Buch für die Bibliothek da, und dazu ein paar Kleinigkeiten für die Lehrer, die uns noch zu Tee und Kuchen einladen. Der Lehrstuhlleiter (den ich schon von meinem Fachkurs von vor zwei Jahren kenne) versprüht vollen georgischen Männercharme, er finde keine Worte, ja sogar verliebt sei er, es möge auf das Leben getrunken werden ... "Und Prost", beendet Dozentin Miranda die Rede und hebt das (Tee)-Glas.
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