Susann Pásztor. Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster.

5 März 2017
Fenster oeffnen
Liebe und Tod sind die beiden großen Themen der Literatur, die Bücher darüber füllen Bibliotheken, aus vielen dampfen Schwulst und Kitsch. Vollkommen frei davon ist der jüngste Roman von Susann Pásztor, in dem ein ziemlich normaler Stadtneurotiker einer krebskranken Todeskandidatin als ehrenamtlicher Sterbebegleiter den letzten Akt erleichtern möchte. Was ihm passiert, könnte jedem von uns genauso ergehen: Angst vor dem zu erwartenden seelischen Druck, Unbeholfenheit im Umgang mit einer Sterbenden, Atemnot, wenn er beim Supervisionstreffen der Kollegen über „seine“ Sterbende sprechen soll. Sterben ist für die Außenstehenden ja auch nicht gerade einfach. 

Und die Frau, die wirklich sterben soll und wird? Wie geht es Karla, einer älteren Dame mit bewegter Musikervergangenheit, angesichts ihres nahenden Endes und des dazugehörigen Sterbebegleiters? Es ist der Autorin sehr hoch anzurechnen, dass sie diese Perspektive außen vor lässt: Geschrieben wird aus der Sicht von Fred, seinem dreizehnjährigen Sohn Phil und einmal kurz aus der von Karlas Schwester. Zwar weiß Karla sich gegenüber ihrer hilflosen Helfer-Umgebung durchaus bündig auszudrücken, aber eine wirkliche Innenansicht erlaubt sich die Erzählerin nicht, was für mich eine große Respektsbezeugung darstellt: Der Tod gehört dann doch jedem selbst, der wird nicht reißerisch ausgestellt. Ein Medium allerdings hat Karla, passend genauso gut zu ihrem Charakter wie zum respektvollen Umgang der Autorin: Sie schreibt sich selbst kurze, lyrische Listen voll Erinnerungen, Gedankenfetzen, Liedzeilen, die der Verlag passend zur Handschriftlichkeit kursiv gedruckt hat. Wer in Karlas Inneres blicken möchte, bitte sehr, der möge diese Lyrik interpretieren. Vielleicht im Kontrast zu Phils „Rap für Oma“: Ich hab Schiss, meine Oma hat Humor. Da, wo ich mal’n Sixpack krieg, hat Oma den Tumor. 

So nüchtern die Schreibe Pásztors gerade bei den großen Themen bleibt, so liebevoll detailgenau ist sie bei der Beschreibung der Umgebung: von der typischen Betulichkeit der Supervisionsgruppe über Phils Kampf um ein gehöriges Wachstum, bis zu Klaffki, dem Hausmeister mit Dogge Kottke. Und ganz am Ende wird dann ein Fenster geöffnet: Damit die Seele des Verstorbenen ungehindert nach draußen könne, so hatte man dieses Ritual bei seiner Ausbildung erklärt. Ein Akt des Loslassens. Bon voyage. 

Ein wunderbarer Roman, geschrieben ohne Faxen, ein Kunstwerk. 


Tags: Sterben

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