Geprägt vom deutsch-griechischen Verhältnis – Marina Agathangelidou

4 Juni 2019

Ja, sie übersetzt Literatur, macht aber auch technische Übersetzungen. Parallel zum Übersetzen hat sie 2017 am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin promoviert und ist seither an der FU Berlin mit verschiedenen Forschungsaufträgen tätig. 

Zum Verhältnis Deutschland-Griechenland? Auf politischer Ebene ist das, was sich seit dem Beginn der Finanzkrise zwischen den zwei Ländern abgespielt hat, sehr problematisch. Schließlich haben all diese Rettungspakete und die damit einhergehenden Sparmaßnahmen zu einer Vertiefung der Krise in Griechenland geführt. Und dann noch die Medien! Eine Zeit lang war in der Bild-Zeitung und in anderen deutschen Medien immer wieder die Rede von den „faulen Griechen“, was das Bewusstsein eines ziemlich großen Teils der deutschen Bevölkerung prägte. Dass in griechischen Zeitungen oft von deutschen Herrschaftsbestrebungen, sogar von einem „Vierten Reich“ die Rede war, muss man gerechterweise aber auch erwähnen. 

Und persönlich: „Sehr wichtig. Es hat meine Biographie und meine Identität geprägt. Meine Eltern waren in den 1960- und 1970er Jahren Migranten in Deutschland, kehrten nach dem Sturz der Junta nach Griechenland zurück. Ich selbst bin in Athen geboren und aufgewachsen, habe aber mit meiner Familie zwei Jahren in Mannheim verbracht und eine bilinguale Schule besucht. Damals habe ich – siebenjährig – angefangen, Deutsch zu lernen,. Die Beziehung zu Deutschland, zur deutschen Sprache war in unserer Familie immer präsent. Kein Wunder also, dass ich mich später entschieden habe, Übersetzerin zu werden und anschließend auch nach Berlin zu ziehen, wo ich seit 9 Jahren wohne.“ 

Was die Krise in Griechenland bedeutet: „Für die Menschen meiner Generation vor allem Angst vor der Zukunft und Perspektivlosigkeit. Viele sind arbeitslos und daher finanziell von ihren Eltern abhängig, oder leben vom Arbeitslosengeld, viele zogen daher ins Ausland. Es gibt aber auch Menschen, die zurückblieben und sich dabei als sehr kreativ und widerstandsfähig inmitten der Krise erwiesen. Athen ist in den letzten Jahren zu einer sehr interessanten und lebendigen Stadt geworden, die Kunst- und Underground-Szene blüht dort, das finde ich toll. In Berlin höre ich die ganze Zeit um mich herum Griechisch, die griechische Community hier ist seit der Krise enorm gewachsen. Wobei auch wir, die im Ausland leben, es nicht einfach haben und ständig dafür kämpfen müssen, gleiche Chancen zu bekommen und nicht nur immer auf unser Herkunftsland, mit dem gerade eine Menge stereotypische Zuschreibungen verbunden ist, zurückgeführt zu werden.“ 

Marina, was wünscht du dir? „Ich bin für offene, plurale Gesellschaften, und wünsche, dass die rechtsradikalen Parteien in den kommenden Europa-Wahlen eine Niederlage erleiden.“ (Das Interview wurde eine Woche vor den Wahlen am 26. Mai 2019 gegeben)

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Für den Workshop hat sie einen Auszug aus Terézia Móras Erzählung „Die Sanduhr“ übersetzt, erschienen im Erzählband „Seltsame Materie“ bei Rowohlt.

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