Die Kleinunternehmerin – Marianna Tsatsou
6 Juni 2019

Ja, sie lebt vom Übersetzen, hat – klein und taff, wie sie ist – ein Übersetzungsbüro eröffnet in Berlin. Die Kundschaft sind in der Mehrheit Griechen aus Griechenland, die Verträge oder andere Dokumente übersetzt brauchen. Das ist nicht so toll, weil die weniger Geld haben, also auch weniger zahlen. Vom Standpunkt der Kundenakquise könnte Marianna also ebenso gut in Griechenland leben, bleibt aber in Berlin, weil sie ihr Deutsch so besser frisch halten kann. Und Literatur übersetzt sie ja auch noch – drei von ihr übersetzte Bücher sind bisher schon auf Griechisch erschienen. Es können gern noch mehr werden.
Deutschland, Griechenland – wo ist sie zu Haus? Beide Länder sind eine Heimat geworden, aber wirklich zu Haus fühlt sie sich in Berlin. Achtung: Berlin – das ist nicht Deutschland!
Wie hat sie die Krise erlebt? Sie hatte schon während ihres Bachelor-Studiums gearbeitet, um Geld zu verdienen. Damals bekam eine Verkäuferin mit einer Vollzeit-Stelle 800 €. Dann – sie machte gerade ihren Master – kam die Krise und es gab für die gleiche Stelle gerade noch 400 €. Die Mieten allerdings blieben in alter Höhe bestehen und gleichzeitig wurden alle Steuern (also auch auf die Waren im Geschäft) erhöht. Für eine Übersetzerin bedeutet das täglich zehn Stunden Arbeit und mehr in einer Siebentage-Woche – und nichts davon bleibt für die hohe Kante, alles fressen sofort Steuern, Krankenkasse und andere Abgaben, die ein Freiberufler zahlen muss. Doch wenn irgendeine europäische Zeitung etwas zu faulen Griechen oder einem „Ende der Krise“ schreibt, dann lächelt Marianna. Trotzdem.
Marianna, was wünschst du dir? „Na ja, so die einfachen Sachen: ein tiefes, blaues Meer in Berlin, Süßigkeiten ohne Kalorien und ganz viele kreative und positive Leute in meinem Leben, die es schöner machen – das reale Leben lässt da ja manchmal noch Wünsche offen.“
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Für den Workshop hatte sie sich einer echten Herausforderung gestellt und einen Auszug aus der Kurzgeschichte „Zehn Minuten Hermannplatz“ von Jürgen Kiontke übersetzt (aus dem „Neuköllnbuch“, erschienen im Verbrecher Verlag). In dem Text wimmelt es von unübersetzbar scheinenden Wortschöpfungen (wie dem Nervenstrang, der sich nicht verzweigt, sondern „verdreigt“), Berliner Dialektbrocken und Namen für Dinge, die es eben nur in Deutschland gibt: Turmbahnhof, Ich-AG, Hartz IV Sie hat es gemeistert. Ich würde Marianna jeden Text anvertrauen.
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