Ian Mc Ewan. Nussschale
28 Dezember 2016
Ian McEwan. Nussschale
Was ist bloß los mit diesem Hamlet: Wieso kann sich der Mann nie entscheiden, ewig dieses Grübeln und Wägen zwischen Sein oder Nichtsein? Na ja, kein Wunder, er hängt kopfüber in der Fruchtblase einer Frau. Er hört die Welt draußen durch die zahllosen Radiobeiträge und Podcasts, die sich seine Mutter Trudy gelangweilt reinzieht, er kann sich einen Reim auf deren Anblick machen, wenn sein Vater, ein Dichter, das strohblonde Haar seiner Frau besingt, wie es ihr „’in wilden Locken wie lauter Münzen’ auf Schultern ‚weiß wie Apfelblüten’ fällt“, er weiß, in welch wilde Welt er hineingeboren werden soll voller Krieg, Völkerwanderung und Artensterben. Er überlegt, ob er das wirklich will.
Was er außerdem weiß: Der Besucher seiner Mutter, dessen erigierter Penis ihm nächtens bedrohlich nahe kommt, die Mutter eine Todeswand der Lust hinauftreibend, ist nicht sein Vater. Sondern dessen Bruder Claude. Der gemeinsam mit der geliebten Mutter, der treulosen Trudy, den Mord an seinem Vater plant. Und da soll man nicht ins Grübeln kommen? Den Tod des Vaters rächen wollen? Aber wie – als Ungeborener? Der sich nolens volens zusammen mit der Mutter täglich mehrere Gläser Sauvignon Blanc genehmigt, bis er – das müssen wir ihm zugestehen – kaum mehr in der Lage ist, Tag und Traum zu unterscheiden. So also reimt sich auch noch der Anblick des toten Geistervaters, sein „süßer Pesthauch von Glykol und madenzerfressenem Fleisch“ zusammen – als kindische Halloween-Phantasie eines besoffenen Fötus. Oder doch nicht?
Souverän entnimmt Ian McEwan der klassischen Klamottenkiste Namen und Umstände, entfernt sich vom Vorbild und ist ihm immer wieder ironisch nah, wenn er Claude düster-selbstkritisch darüber räsonnieren lässt, ob der Bruder nicht besser durch Gifttropfen ins Ohr gekillt worden wäre, nach dem Vorbild des russischen Geheimdienstes.
Hamlet bleibt jedenfalls Hamlet: Erst ganz zuletzt, als es fast schon zu spät ist, greift er ein. Wie – das wird hier nicht verraten.
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