K 2 – Wohin mit den Satzgliedern?

11 Juni 2016
Satzglieder und ihre Positionen
 
Warum wir so auf dem Unterschied zwischen Angabe und Ergänzung bestehen? Weil es für unsere Frage nach dem gelungenen Satz wichtig sein könnte, ob etwa die verschiedenen Satzglieder bestimmte Positionen bevorzugen. Werfen wir dazu noch einmal einen Blick auf Sallis sechs Beispielsätze und konzentrieren uns besonders auf Anfang und Ende der Sätze:
 
S      V         Ergänzung
Ich    esse   Zwiebeln
 
S                    V
Die Zwiebeln  stinken.
 
Ergänzung      V        S      Angabe
Die Zwiebeln    esse   ich   während des Unterrichts
 
S      V     Ergänzung
Ich    bin   kein Hund.
 
Angabe       V      S      Ergänzung      Ergänzung  V
Gerade    habe    ich    Ihnen               100 €             gegeben.
 
S       V            Ergänzung
Wir    hoffen    auf gute Zusammenarbeit.
 
 Satzglieder und ihre Lieblingsplätze
 
Sechs Sätze. Vier mal steht das Subjekt am Anfang, am Ende nie. Kann es sein, dass Subjekte die Anfangsposition lieben? Eine Ergänzung fand sich nur einmal am Anfang, ansonsten scheinen diese Satzglieder eher ans Satzende zu streben. Und den Angaben gefällt es hier wie dort? 
Man kann es tatsächlich auszählen: Satzglieder haben so etwas wie Lieblingsplätze. Die sie aber auch aufgeben können, wenn die Dramaturgie eines Satzes es nahelegt. Ja, richtig gelesen: Dramaturgie. 
 
Verfilmte Sätze
 
Nehmen wir dazu ein paar kurze Szenen aus Sallis ersten Tag auf dem Lande – und stellen sie uns verfilmt vor: 
 
- wie Salli sich auf ihr Ziel zu bewegt; 
- ihr erster Kontakt mit einem Landmenschen; 
- wie sie die Stallgasse wahrnimmt und
- wie sie sich in Sergeys Kammer verhält.  
 
Auf welchem Bild läge der Fokus zuerst? 

Wohin würde die Kamera als nächstes schwenken? Und worauf richtete sie sich zuletzt? 
Jürgen Carle, Kameramann beim SWR
 
Hier die Szenen in ihrer normalen Satzform:
 
An einem verregneten Tag im Juli fährt Salli in ihrem Auto Richtung Süden.
Eine Frau öffnet die Tür des Bauernhauses und mustert Salli misstrauisch.
Am Ende der Stallgasse steht eine Boxentür offen. 
Salli zieht den Anorak aus und sieht sich in dem Raum um.
 
Und nun die Einordnung dieser Wörter als Satzglieder:
 
Angabe                                            V       S       Angabe           Ergänzung
An einem verregneten Tag im Juli   fährt  Salli   in ihrem  Auto  Richtung Süden.
Regen, Tageszeit, Jahreszeit           >       Salli im Auto      >      ein Ziel
 
S                V          Ergänzung          V             Ergänzung     Angabe
Eine Frau   öffnet   die Tür        und    mustert   Salli                misstrauisch.
Die Bäuerin      >    die Tür   >   Blick zu Salli  >  das misstrauische Gesicht der Frau 
 
Angabe                               V          S                        Ergänzung
 Am Ende der Stallgasse    steht    eine Boxentür    offen.
 Die Stallgasse immer weiter    >    die Boxentür   >  au weia: offen
 
S       V         Ergänzung                   V              Angabe
Salli   zieht    den Anorak aus und   sieht sich   in dem Raum um.
Salli      >      Anorak ausziehen   >   ihr Blick  >  durch den Raum

Ohne sich um grammatikalische Kategorien zu scheren, würde ein guter Kameramann zuerst das Bild auffangen, das ihn und uns am besten in die Szene führt. Und damit syntaktischen Regeln gehorchen, die wir vorläufig nur als Tendenz fassen wollen: 
 
Angaben und Subjekte – beide lieben die erste Position im Satz. 
 
Zur Frage, welche Positionen von welchen Satzgliedern bevorzugt werden, gibt es Statistiken. Fleißige Leute haben ausgezählt, dass im Durchschnitt die erste Position eines Satzes zu etwas mehr als 50% vom Subjekt besetzt wird, es folgt die Angabe und mit großem Abstand die Ergänzung. Wir könnten es nachrechnen: Im zweiten Kapitel der „Grammatik der Rennpferde“ etwa wurde die erste Position 177 mal durch das Subjekt besetzt, 104 mal durch eine Angabe und nur 14 mal durch eine Ergänzung. Wann und warum eins dieser Satzglieder diesen Platz aufgibt, um auf eine andere Position umzuziehen, das hängt von den Strategien unseres Erzählens ab. Gleich im nächsten Kapitel werden wir uns damit befassen. 
 
Und die letzte Position?
 
Bis dahin nur noch ein kurzer Blick auf die letzte Position im Satz: Welches Satzglied auch immer dort residierte – Ergänzung oder Angabe – es wollte Interesse wecken. Entweder indem mit ihm etwas Neues ins Visier kam: Sallis Ziel, die Pferdebox, der unbekannte Raum. Oder indem ein Rätsel aufgestellt wurde: Warum blickt die Frau misstrauisch? Was ist in dem Raum, den Salli betrachtet? 
 
Wenn es darum geht, sich als Rätsel interessant zu machen, dann wandert sogar das Subjekt ans Satzende:
 
Angabe      V          Ergänzung       S
Offenbar    wohnt    hier                   jemand.
Sallis Vermutung > zu diesem Ort > jemand – wer ist das?
 
Die Endposition im Satz – davon wird noch viel zu reden sein.
 
Haben wir jetzt nicht ein Satzglied vergessen? Na, das Verb! Aber da wir diesem munteren Wesen noch sehr oft begegnen werden und da sogar Sergey es ohne Mühe identifizieren konnte, wollen wir es hier erst mal gut sein lassen mit weiteren Erklärungen und lieber Salli ins nächste Kapitel folgen, wo ein verschlagener Pferdezüchter sie erwartet und uns die erste und eiserne Regel zur Stellung des Verbs.

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