K 6 – Wie sich der Rhythmus bemerkbar macht

25 Juni 2016
Das von mir aufgedeckte Gesetz der wachsenden Glieder besagt, daß von zwei Gliedern, soweit möglich, das kürzere vorausgeht, das längere nachsteht. 
Otto Behaghel, Deutsche Syntax IV, 1932.

Was Salli so aufs Haupt bekam

Im sechsten Kapitel hat Salli an einem einzigen Tag einiges aufs Haupt bekommen. Von morgens bis abends hat sie Dinge getan, die sie sich nie zuvor zugetraut hätte: Ein Pferd transportiert, eine Birke bemalt, einen grimmigen Mann halb an- und ausgekleidet. Nervös und voller Hektik. Sie ist fest davon ausgegangen, dass sie heute mit ihrem Unterrichtsprogramm anfangen wird – Sergey hatte es ihr versprochen! – und wurde enttäuscht. Zuletzt die Überraschung mit Anselm und seinem langen Winterurlaub im Süden. Die fast noch schlimmer wurde durch sein missverständliches Angebot, sie solle sich das auch überlegen. Jedes Mal, wenn Salli neue Hoffnung schöpfen wollte, kam ein dickes Ende hinten nach. 

Sergey und das dicke Ende

Das dicke Ende – davon kann auch Sergey ein Lied singen, der Bauer sitzt ihm im Genick, dann kommen noch diese feinen Damen daher, und er riskiert Kopf und Kragen für ihr Pferd, er rettet es ihnen und erntet nicht einmal ein Danke dafür, geschweige denn ein Trinkgeld. Stattdessen ein Schnitzel, das er nicht wollte. Salli hat es ihm ja regelrecht aufgedrängt.

Salli hat es ihm aufgedrängt. 

Durch die syntaktische Lupe betrachtet


Wenn wir diesen Satz durch die syntaktische Lupe betrachten, dann entdecken wir darin zwei wohlbekannte Objekte. Nämlich das Schnitzel im Akkusativ und Sergey im Dativ. Allerdings reihen sie sich nicht in der Abfolge aneinander, die wir im fünften Kapitel als belebt vor unbelebt kennen gelernt haben. Ihre Form haben sie auch verändert: Aus Nomen sind Pronomen geworden. 

Viertes Behaghelsches Gesetz

Verwandelt in Pronomen führen uns die Objekte ein neues Gesetz vor Augen, das wieder Otto Behaghel entdeckt hat. Bei ihm lautete es „Gesetz der wachsenden Glieder“, wir wollen es etwas bequemer "kurz vor lang" nennen. Es besagt, dass von zwei gleichwertigen Satzgliedern das kürzere vor das längere schlüpft. Verwandeln wir die zwei Objekte Schnitzel und Sergey eins nach dem anderen von einem Nomen in ein Pronomen, machen wir Äffchen aus Elefanten, und sehen wir, wie dieses Gesetz wirkt: 

Salli hat  Sergey  ein Schnitzel aufgedrängt.
Sie hat    ihm       ein Schnitzel aufgedrängt.
Sie hat    es         Sergey   aufgedrängt.

Die Körperlichkeit von Satzgliedern

Anscheinend unbekümmert um die Frage nach dem Kasus haben sich die Objekte neu sortiert; entscheidend für ihre Reihenfolge war hier kein dramaturgisch wichtiger Unterschied wie der nach belebt oder unbelebt, Person oder Sache. Sondern ein physikalischer. Die Körperlichkeit der Satzglieder beginnt mitzureden, so dass es auf einmal zugeht wie im richtigen Leben, wo dito die Schwergewichtigeren zarter Gebaute auf ihren Platz verweisen können.

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