K 7 – Wie Artikel alte Hierarchien sprengen

3 Juli 2016
Abfolge der Objekte 

Ein Nomen, dem der Indefinitartikel ein, eine seinen ersten Auftritt ankündigen will, ist natürlich der Star im Satz. Mit einer solchen Ausstattung hat es die Macht, altehrwürdigste Stellungsregeln über den Haufen zu werfen. So haben wir es bisher gelernt:

                                      ObD                    ObA
Einmal stahl Ilya Dyck  dem Nachbarn  einen Esel.

Dativobjekt vor Akkusativobjekt. Die Entscheidung für diese Abfolge liegt aber gar nicht an Dativ oder Akkusativ, sondern daran, dass der Akkusativ so oft das Neue, Unbekannte ausdrückt und deshalb sowieso vom Indefinitartikel begleitet wird. 

Der Esel ist bekannt?

Und wenn nun gerade der Esel schon bekannt ist? Wenn es die Person im Dativ ist, die ihren Auftritt gewürdigt sehen will? Dann brauchen die Nomen andere Artikel. Und siehe da – die Abfolge ändert sich:

              ObA              ObD   
Er stahl den Esel  einem Politkommissar.

Jetzt hat das Dativobjekt das Recht auf die prominente letzte Position im Satz. Regeln wie Dativobjekt vor Akkusativobjekt gelten nicht unbedingt. Das letzte Wort hat die Dramaturgie des Satzes.

Kontraktion

Manchmal kann es den Anschein geben, als würde der eigentlich erwartete Definitartikel fehlen. Das ist dann der Fall, wenn eine Präposition sich auf eine so genannte Kontraktion mit der, dem, das eingelassen hat: Im Wirtshaus „Zur Bunten Kuh“ zum Beispiel haben sich die Artikelwörter dem und der verkürzt auf ihre Endbuchstaben. Das machen Präpositionen offenbar besonders gern, wenn sie bei ihrer ursprünglichen, alten Funktion bleiben, Orte zu benennen. Kontraktion hat hier die gleiche Bedeutung wie bei einem kontrahierten Muskel: Aus zwei Wörtern wird eins, das damit ein wenig anschwillt – die ganze Sache verkürzt und verdickt sich in einem.


Trommelwirbel und Abwinken

Lassen wir sie noch einmal auf uns wirken – den Trommelwirbel von ein, eine und das beruhigende Abwinken von der, die, das. Sehen wir noch rasch, wie es weiter ging in Kasachstan. Und lesen wir bewusst, achten wir auf Wirkung und Verteilung der Artikelwörter!

Das dritte Kind war ein Junge. Ein Hänfling. Die Nachbarinnen schüttelten die Köpfe: Der überlebt nicht den nächsten Sturm. Aber er überlebte die nächsten Winter alle und von Anfang an hatte er nichts als Reiten im Sinn. Der Vater musste für ihn einen Esel stiebitzen (und sich dann beim Wodka wieder vertragen mit dem kurzfristig bestohlenen Nachbarn), die Mutter musste ihn auf die Kuh heben, die auf der Weide stand. Als er acht Jahre alt war, ging er in den Stall, der zur Kolchose gehörte, zu den Männern mit den Pferden und ließ ihnen keine Ruhe, bis sie lachten und ihm einen Eimer gaben. Auf dem stand er, während er die Pferde putzte. Dann schickten sie ihn zum Pferderennen. Über fünfundzwanzig Kilometer ging es durch die kasachische Steppe. Der Wind zerriss einem da die Haare, in den Ohren donnerte es, der Boden bewegte sich. Beim ersten Mal, als sie ihn nach dem Ziel vom Pferd hoben, hat er ins Gras gekotzt. Mit zehn gewann er sein erstes Rennen. Als Preis bekam er einen Teppich, den legte er vor sich aufs Pferd und ritt damit nach Hause. Und dann, er war elf Jahre alt, passierte die erste der beiden Katastrophen in seinem Leben.

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