K 4 – Der Satz als Bühne

17 Juni 2016
Woran liegt es jedoch, dass in einem Satz ein Objekt auftreten muss oder kann, in einem anderen dagegen nicht? Offensichtlich spielt das Verb hier eine zentrale Rolle.
Karin Pittner, Judith Berman, Deutsche Syntax, 2004
 
Der Satz als Bühne
 
In George Bernhard Shaws Theaterstück Pygmalion gibt es neben einigen weniger wichtigen Figuren drei Helden: Eliza Doolittle, Higgins und Oberst Pickwick. Ihnen gehört die Bühne; in jeder Szene ist wenigstens einer der drei zu sehen. Die Handlung gebietet ihren Auftritt. 
 
 
In einem Satz ist es das Verb, das die Handlung festlegt, weshalb ein kluger Sprachwissenschaftler (nämlich Lucien Tesnière, der sich die für viele Sprachtheorien wichtige Dependenzgrammatik einfallen ließ) schon vor fast hundert Jahren auf die Idee kam, den Satz als Bühne zu betrachten, auf die das Verb seine Hauptfiguren ruft – die für die Handlung nötigen Aktanten
 
Das sind im Einzelnen; 
- ein Handlungsträger oder Täter (Agens sagen die Gelehrten dazu),
- ein Opfer (oder Patiens), das abkriegt, womit der Täter ihn bedenken will und 
- ein Partner (Rezipient), der dem Täter gleichberechtigt ist. 
 
Verben als Theaterdirektoren
 
Und wieder sind es die Verben, die den Satz regieren. Diesmal nicht durch ihr artistisches Vermögen zum Konjugieren oder Satzbrücken-Bauen. Sondern durch die Autorität, mit der sie Spielpläne aufstellen für ihre Aktanten. Als durch Konjugationen turnende Artisten sind sich fast alle Verben gleich. Als Theaterdirektoren unterscheiden sie sich.
 
Selbstzufriedene Verben
 
Da sind zunächst die selbstzufriedenen absoluten Verben, die außer einem Subjekt keine weiteren Mitspieler auf der Bühne begehren. Bei Sätzen wie Barbara klatscht oder Salli blutet ist das Stück nach zwei Satzgliedern schon zu Ende. Wobei die beiden Subjekte hier verschiedene Rollen spielen: Während Barbara eindeutig Täterin ist (und zwar egal, ob klatschen an der Stelle applaudieren bedeutet oder über andere Leute herziehen), bleibt Salli die Rolle des Opfers überlassen. 
 
Das schlichteste Kostüm für die Subjekte
 
Aber ob Täter oder Opfer – das Verb, das sie auf die Bühne des Satzes gerufen hat, braucht sie dort als Subjekt. Subjekte tragen stets das schlichteste Kostüm: den Nominativ. 
 
Ein paar Sätze gibt es im Deutschen, die ohne grammatikalisches Subjekt auskommen: mich dünkt, mich friert, mir graut, mir schwindelt. Es sind sehr wenige und sie werden mehr und mehr verdrängt durch ich friere, es graut mir etc. 
 
Nahe Verwandte: Subjekt und Objekt
 
Subjekt und Verb sind also die Minimalausstattung für einen Satz. Die meisten Verben wollen aber mehr Wirbel und rufen sich Objekte auf die Satzbühne. Mit dem Objekt steht dem Subjekt ein naher Verwandter gegenüber, denn beide werden von denselben Wortarten gestellt – von Nomen oder deren Vertretern, den Pronomen oder von Nebensätzen:
 
Salli sucht Rat.                                    Nomen
Sie erhält einen.                                  Pronomen
Hoffen wir, dass es der richtige war. Nebensatz
 
Objekte staffieren sich aus mit einem Kasus
 
Sobald sie Objekt sind, genügt den Nomen und Pronomen das Alltagskleid des Nominativ nicht mehr. Sie brauchen eine besondere Ausstattung, nämlich einen Kasus. So wie ein Schauspieler sich für die Bühne einen Spitzbart anklebt oder sein Hemd mit einem Kissen ausstopft, verwandelt auch ein Nomen mit Hilfe der Artikel sein Aussehen. Aus dem neutralen Nominativ wird ein etwas scharfkantigerer Akkusativ oder ein gemütlich molliger Dativ. 
 
Nicht jedes Kasus tragende Nomen ist ein Objekt
 
Achtung: Der Kasus selbst ist nur die sichtbare Form, nur so etwas wie das Kissen des Schauspielers oder der künstliche Bart. Ein Nomen kann im Akkusativ oder Dativ auftreten, ohne dass es gleich ein Objekt ist, denn auch Präpositionen verlangen einen Kasus. Beim Hemd mit einem Militärabzeichen steht das Militärabzeichen im Dativ, ohne dass wir ein Objekt vor uns hätten. Zum Objekt wird ein Nomen erst, wenn ein Verb nach ihm ruft. 

Teilen:

Blog abonnieren