K 7 – Auch kein Artikel ist ein Artikel

1 Juli 2016
Der Nullartikel
 
Im Plural verwandeln sich der - die – das in dieBei ein – eine legt da die deutsche Logik einen Riegel vor. (Die deutsche Logik sieht das so. Das muss nicht heißen, dass ein pluralischer Indefinitartikel undenkbar wäre. Die Spanier etwa haben kein Problem damit, uno und una in einen eigenen Plural zu setzen: unos, unas. Für deutsche Lerner erst einmal ein Unding. Bis sie sich daran gewöhnt haben. Keine Sprache hat ein Monopol auf Logik oder Natürlichkeit.) In Erinnerung an das Zahlwort erklärt diese Logik, dass ein sich nicht vermehren lässt. Dies ist der häufigste und eingängigste Ort für den so genannten Nullartikel, den Fall also, wenn ein Nomen ohne Artikel daherkommt:
 
Der Traktorist und die Melkerin bekamen ein Kind.
Falsch: Sie heirateten erst, und dann bekamen sie Kinder.
 
 Massennomen und Abstrakta
 
Einer ähnlichen Logik folgt der Nullartikel vor Nomen, die grundsätzlich im Singular stehen: Gold, Blut, Brot – so genannte Massennomen. Es gibt sie formal nur im Singular, dabei drücken sie inhaltlich etwas Pluralisches aus, was sich daran sehen lässt, dass man sie nicht zählen kann. Wollte man es tun, müsste man ihren kollektiven Charakter aufbrechen und in kleine Stücke zerlegen: Goldstücke, Blutstropfen, Brotkrümel – was eine veränderte Bedeutung ins Spiel brächte. 
 
Ähnlich die Abstrakta wie Musik, Ruhe, Licht und Schatten. So wie sie da abstrakt im Singular vor uns stehen, wollen sie gar nichts über Singularität aussagen, eher etwas darüber, dass sie als abstrakte Größen nicht zählbar sind: Zweiundzwanzig Ruhe sagt (und denkt) man nicht. Auch hier kann sich aber das Wort von seiner abstrakten Bedeutung lösen, konkret und damit pluralfähig werden und so auch das Recht auf einen Artikel erwerben: all die Schatten, die vielen Lichter.
 
 
Im Plural, bei Abstrakta oder Massennomen tut der Nullartikel also die gleichen Dienste wie ein und eine.
 
Lebensrollen
 
Im Singular dagegen ist er so etwas wie ein Abwinker. Da erklärt der Nullartikel, dass erhöhte Anspannung nicht nötig ist, weil das, was folgt, so normal ist, dass es jeder von uns an sich hat. Das sind die Namen und die so genannten Lebensrollen; gemeint sind Berufe, Nationalität, religiöse, philosophische, politische oder sonstige Identität:
 
Sergeys Vater hieß Ilya Petrowitsch Dyck, war Deutschstämmiger, Atheist und Linkshänder.
 
Sollten Name oder Lebensrolle etwas Eigentümliches an sich haben, dann stehen wieder Artikel bereit. Als Verweis auf Erklärtes:
 
Die Familie lebte in Kasachstan, genauer gesagt, in dem damals sozialistischen Kasachstan. 
 
Oder als Trommler, die etwas Neues ankündigen:
 
Ilya war Deutschstämmiger, und damit ein Deutscher, der kaum ein Wort Deutsch sprach.
 
 Das Normale und das Außergewöhnliche
 
Wenn Eigenschaften durch eine Präposition angeschlossen werden, kündigt häufig der Nullartikel an, dass diese Eigenschaft normal ist und erwartet werden kann:
 
Das erste Kind war eine Tochter mit Stupsnase.
 
Niedliche Stupsnasen sind nichts völlig Außerordentliches bei einem Baby. Schwere Krankheiten schon:
 
Dann kam eine kleine Tochter mit einem Herzfehler zur Welt.
 
Vergleiche mit als und wie
 
Nullartikel auch nach Vergleichen mit als, das eine der – selbstverständlichen – Lebensrollen bemüht:
 
Als Deutschstämmige lebten die Dycks nicht freiwillig in Kasachstan, sie waren im Krieg von Stalin dorthin deportiert worden.
 
Dagegen ist ein wie-Vergleich ein Bild, will originell sein und braucht – wir ahnen es – den Trommelwirbel:
 
Ilya Dyck war rundlich wie ein Fässchen Kwas.
 
Russisches Kwas-Fass auf Rädern © Brad Earlybird
 
Wenn zwei Dinge zusammengehören
 
Wo wir normalerweise mit ein – eine die Besonderheit einläuten: Er holt einen Sattel ... folgt Nullartikel, wenn es zwei Dinge sind, die zusammengehören und für sich schon aussprechen, was erwartbarerweise als nächstes passiert: 
 
Salli schnappt sich Papier und Bleistift (um zu schreiben), 
Sergey holt Sattel und Zaumzeug (weil er reiten will).
  

Teilen:

Blog abonnieren